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Liebe Freunde und Interessierte der Andreas Tobias Kind Stiftung,
vor wenigen Wochen haben wir zusammen auf unserer Interimssitzung getagt und über die Förderung ganz unterschiedlicher Studienvorhaben und Projekte entschieden. Nun bereits zum 30. Mal! Und auch in diesem Frühjahr war unser Stifter Prof. Hellmut Kind an unserer Seite. Gemeinsam haben wir zurückgeblickt auf drei Jahrzehnte Kind Stiftung: Aus welchen Beweggründen heraus hatten er und seine Frau Gabriele die Stiftung damals gegründet? Wie verliefen die ersten Förderungen ...?
Ein wichtiges Anliegen war für ihn – neben der ganz persönlichen und teils sehr intensiven Unterstützung von Menschen und ihren Ideen – die Offenheit der Stiftung für neue Denkansätze, verschiedene heilpädagogische und musiktherapeutische Schulen und Theorien. Mehr dazu erzählt Herr Kind im Interview weiter unten – wir freuen uns sehr über sein unermüdliches Engagement!
Bis heute ist es uns besonders wichtig, den persönlichen und fachlichen Austausch unter (angehenden) Heilpädagogen, Musiktherapeuten und Interessierten jeglicher Fachrichtungen zu fördern. Daher veranstalten wir jährlich einen Öffentlichen Stiftungstag, auf den wir Sie zu unserem diesjährigen Jubiläum ganz besonders herzlich einladen: Feiern Sie gemeinsam mit uns 30 Jahre Andreas Tobias Kind Stiftung, am Samstag, 28.09.2019, im Rudolf Steiner Haus Hamburg! Eine Einladung mitsamt dem Programm erhalten Sie in Kürze separat.
Zunächst möchten wir Ihnen aktuelle Veranstaltungen und Förderprojekte vorstellen: Prof. Karin Holzwarth kündigt die Tagung ZUFLUCHTSORTE - Flucht, Krieg, Ankommen an, die am 6. Und 7. September 2019 an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater stattfindet. Vorträge und Workshops erfahrener Praktiker*innen aus Musiktherapie und Musikpädagogik geben hier Einblick in die Arbeit mit Geflüchteten.
Die Veranstaltung unserer Geförderten Angelica Postu fand bereits Ende Mai statt: Die Musiktherapeutin und Konzertpianistin berichtet vom 1. Internationalen Fachtag der Rumänischen Gesellschaft für Musiktherapie in Bukarest, der bei den Teilnehmenden erfreulicherweise ein großes Interesse an der in Rumänien bislang wenig bekannten Therapieform weckte.
Anna Lisa Prechtl konnte dieses Frühjahr mithilfe unserer Förderung zahlreiche Workshops finanzieren, um (angehende) Musiktherapeutinnen als Kursleiterinnen auszubilden. Gemeinsam möchten sie 90 Mädchen in der herausfordernden Phase der Pubertät musiktherapeutisch empowern: Ein echt starkes Projekt!
Auch der Mannheimer Zirkus Paletti probt mit unserer Hilfe für den großen Auftritt. Fröhliche Schnappschüsse aus dem Training lassen uns hinter den Vorhang spicken ...
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Ansehen und Lesen!
Sommerliche Grüße
Ihr Team der Andreas Tobias Kind Stiftung
Britta Johannesson - Hannah Ott
Wir machen SOMMERPAUSE vom 01. JULI bis zum 31. AUGUST und wünschen auch Ihnen eine gute Erholung!
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Fachtagung ZUFLUCHTSORTE - Krieg, Flucht, Ankommen. Erfahrungen aus Musiktherapie und Musikpädagogik
Einblicke von Prof. Karin Holzwarth
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Die Schule als "Tür zu Deutschland"
Es ist wieder Mittwoch. Die Kinder der kleinen Grundschulklasse in der Erstaufnahme für Geflüchtete warten an der Pforte ihres Camps auf die Musiktherapeutinnen Karin Holzwarth und Julia Hoffmann von der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg. Gemeinsam mit ihrer Lehrerin geht die Gruppe die Viertelstunde bis zur nächstgelegenen Grundschule. Schon der Weg wird ausgiebig genutzt für Gespräche mit Hilfe der wenigen deutschen Worte. Was ist seit dem letzten Mittwoch alles passiert? Gab es einen „Transfer“ in eine Folgeunterkunft? Welche Familien sind noch im Camp, welche sind weitergezogen oder wurden gar abgeschoben? Ein besorgter Ausdruck huscht über die Gesichter. Doch schon stürzen sich die Kinder wieder ins Geschehen. Am Wegesrand gibt es viel zu entdecken: Ein Militärfahrzeug, jetzt zivil genutzt, trägt noch kleine Kerben von Einschüssen an den Seitentüren. Wachsame Kinderaugen ordnen das sofort zu. Eine Steinmauer fordert zum Balancieren auf. Das liebevoll gepflegte Grab eines Hundes unter einem Baum lässt die Kinder jedes Mal kurz innehalten. Stille. Aber schon geht´s weiter, wie viel Aussortiertes liegt hier am Straßenrand! Kaum angekommen in der Schule, wird es noch aufregender: Die große Pause mit all den „deutschen“ Kindern. Einige aus der Gruppe weichen den Erwachsenen keinen Schritt von der Seite. Aber sie beobachten genau und ein paar sind nach einigen Wochen bereits mutig und gehen selbst zu einem der Spielgeräte, stellen sich nah zu den Kindern der Schule, schauen sich die Klatschspiele ab, zeigen ihre eigenen.
Und dann geht es mit einem Teil der Kinder in den Musikraum. „Musik als natürliche Ressource“ nennen die Musiktherapeutinnen ihr Angebot. Sie singen einfache Lieder mit den Kindern, üben begleitende Ostinati, erforschen Instrumente oder erraten gemeinsam Klänge (welches Tier klingt so?). Währenddessen arbeitet die Lehrerin mit den anderen und dann wird gewechselt.
Auf dem Nachhauseweg gibt es manchmal noch einen Abzweig zum Spielplatz. Oft haben die Kinder nicht die Gelegenheit, ihr Camp zu verlassen, das muss ausgenutzt werden. An besonderen Tagen, wenn eines der Kinder bereits weiß, dass es in der nächsten Woche nicht mehr dabei sein wird oder wenn Ferien vor der Tür stehen, gibt´s auch mal ein Eis oder etwas zu trinken am Kiosk auf dem Weg.
Dieser Vormittag funktioniert als Gesamtgefüge. Die Musiktherapeutinnen arbeiten in dem brüchigen Setting der Erstaufnahme ausschließlich zu zweit. Es ist wichtig, in der Arbeit „beieinander Zuhause zu sein“, die Kinder spüren das und vielleicht gelingt es auch ihnen, sich für die Dauer der gemeinsamen Zeit ein wenig Zuhause zu fühlen im Miteinander. Die Musik hilft dabei als Ausdrucksmittel und Experimentierfeld. In ihrer strukturierenden und stabilisierenden Wirkfunktion gibt sie Halt und öffnet im Aufeinander-bezogen-Sein einen Raum, der zumindest so sicher ist, dass die Kinder auszudrücken imstande sind, was sie sonst aus Rücksicht auf die selber verunsicherten Erwachsenen nicht zu zeigen wagen: wie ungeschützt sie sind.
Die Fachtagung ZUFLUCHTSORTE – Krieg, Flucht, Ankommen. Erfahrungen aus Musiktherapie und Musikpädagogik ermöglicht am 6. und 7. September 2019 an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater solche Einblicke in die Arbeit erfahrener Praktiker*innen aus Musiktherapie und Musikpädagogik mit Geflüchteten. Petra Schmidt vom Hamburger Konservatorium, Alexander Riedmüller von der innovativen Hochschule, HfMT, und Tina Mallon von der Musiktherapie Initiative e.V. und dem Universitätsklinikum Eppendorf (children for tomorrow) konnten neben den eingangs genannten hierfür gewonnen werden. Es werden die Ergebnisse klinischer Forschung aus Aalborg, Dänemark, präsentiert zur Anwendung von Guided Imagery and Music mit Geflüchteten und ein Forschungsprojekt aus Magdeburg/Berlin zur Geräuschempfindlichkeit nach Kriegstraumata. Vorträge und Workshops wechseln sich ab und geben den Teilnehmenden Gelegenheit, einzutauchen in die Facetten dieser herausfordernden Tätigkeiten und ihre Expertise im Austausch einzubringen. Umrahmt wird die Fachtagung musikalisch von Musiker*innen mit Fluchterfahrung. Detaillierte Informationen zum Ablauf und den Referent*innen finden Sie im Flyer.
ANMELDUNG bis zum 27. August 2019
an Sabine Sieg: sabine.sieg@hfmt.hamburg.de, Institut für Musiktherapie,
Hochschule für Musik und Theater, Harvestehuder Weg 12, 20148 Hamburg
Tel. +49 40 428482-554. Bitte die Postadresse angeben.
Teilnahmegebühr (inkl. Pausengetränken): 95 €, für Studierende 45 €
Die Anmeldung wird erst nach Eingang der Teilnahmegebühr verbindlich. Überweisung bitte auf folgendes Konto:
Hochschule für Musik und Theater, Deutsche Bundesbank
IBAN: DE63 2000 0000 0020 1015 24, Verwendungszweck (bitte unbedingt angeben): ZUFLUCHTSORTE.
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Das echt stark-Projekt
Anna Lisa Prechtl über ein musiktherapeutisches Projekt für junge Mädchen
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Das präventive musiktherapeutische Projekt echt stark soll Mädchen im Alter von zehn bis elf Jahren dabei unterstützen ihren Selbstwert zu stärken.
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Zur Zeit untersuche ich die Wirksamkeit des Projekts im Rahmen meiner Dissertation und habe hierfür eine Förderung der Andreas Tobias Kind Stiftung erhalten. Mein Ziel ist es, das Projekt mit etwa 90 Mädchen durchzuführen. Um dies umsetzen zu können, benötige ich Unterstützung durch weitere Kursleiter*innen. Daher habe ich in diesem Frühjahr Workshops für (angehende) Musiktherapeutinnen in Hamburg, Berlin, München, Erlangen und Wien gegeben.
Nachdem wir im Workshop die theoretischen Aspekte, zum Beispiel zum Thema Selbstwert oder zum Forschungsdesign, besprochen hatten, konnten wir zu den lebendigeren Phasen übergehen. Dazu gehörte die Frage, wie man selbst die Jugendzeit erlebt hat, und natürlich das gemeinsame Ausprobieren verschiedener Spielideen, was in den Workshops für eine Menge Spaß gesorgt hat. Viel Konzentration hat es den Teilnehmerinnen und mir abverlangt, das den Selbstwert stärkende Feedback zu üben, welches einen wesentlichen Teil des Projekts ausmacht. Da auch die körperlichen Veränderungen während der Pubertät im Projekt eine Rolle spielen, haben wir hierzu u.a. eine spielerische Übung durchgeführt, um unbefangen und natürlich über männliche und weibliche Geschlechtsteile mit den Mädchen sprechen zu können – spätestens jetzt war das Eis zwischen den Teilnehmerinnen und mir gebrochen und wir haben eine intensive und freudvolle Zeit miteinander teilen können.
Aktuell laufen zwei Projekte in Hamburg und Bremen. Vier weitere Projektdurchführungen sind im Sommer und Herbst 2019 in Deutschland und Österreich geplant. Die Kurse werden durch eine weitere Förderung von der Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung in Hamburg finanziert, um den Mädchen eine kostenlose Teilnahme zu ermöglichen.
Ende Juni werde ich auf dem Europäischen Musiktherapie Kongress in Dänemark innerhalb eines Vortrags die Gelegenheit haben, das Konzept des Projekts und den bisherigen Forschungsstand Musiktherapeut*innen aus Europa und der ganzen Welt vorzustellen.
Als ich das Projekt vor vier Jahren im Rahmen meiner Masterarbeit ins Leben gerufen und zum ersten Mal durchgeführt habe, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass das echt stark-Projekt nun von so vielen Unterstützern und Netzwerken weitergetragen wird und es bereits heute eine erweiterte Gemeinschaft an Musiktherapeut*innen und Mädchen erreichen kann.
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1. Internationaler Fachtag der Rumänischen Gesellschaft für Musiktherapie in Bukarest im Mai 2019 - wie war's?
Die Veranstalterin Angelica Postu berichtet über das erste Symposium zur Musiktherapie in ihrem Heimatland Rumänien
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Am 25. Mai 2019 hat in Bukarest die 1. Internationale Fachtagung der Rumänischen Gesellschaft für Musiktherapie stattgefunden, die ich organisieren durfte. Bereits in meiner Masterarbeit an der Universität der Künste Berlin beschäftigte ich mich anhand einer Fallstudie mit Musiktherapie in meinem Heimatland, wo sich das Fachgebiet als wenig dokumentiert und recht unbekannt erwies. Ich gründete daher die Rumänische Gesellschaft für Musiktherapie, was Teil des Forschungsprozesses wurde, mit dem Ziel, die in Rumänien noch wenig praktizierte Therapieform und ihre Anwendungsmöglichkeiten umfassend dem rumänischen Fachpublikum und generell Interessierten vorzustellen, den akademischen Austausch mit MusiktherapeutInnen in anderen Ländern zu fördern, und bereits existierende Bemühungen und Protagonisten in Rumänien miteinander zu verbinden.
Im Rahmen der 1. Fachtagung in Bukarest, die mit Unterstützung der Andreas Tobias Kind Stiftung und in Kooperation mit der Bukarester Musikuniversität erfolgte, hat die Rumänische Gesellschaft für Musiktherapie den Themenkomplex und sich selbst der Öffentlichkeit vorgestellt, dies auch durch Vorträge der eingeladenen ProfessorInnen Prof. Dr. Karin Schumacher (Berlin), Dr. Monika Nöcker-Ribeaupierre (München) und Prof. Dr. Jos de Backer (Belgien). Bereits im Vorfeld der Tagung war großes Interesse und positive Resonanz seitens Studierender und Lehrender der Bukarester Musik- und Psychologie-Universitäten festzustellen, aber auch seitens des rumänischen Kulturradios, die mich zu Sendungen und Interviews einluden, was im Vorfeld der Tagung zu zahlreichen Anmeldungen geführt hat.
Zu Beginn der Tagung schilderte ich meinen persönlichen Werdegang und Weg zur Musiktherapie, berichtete dabei von Stationen meines Studiums, diversen Praktika und von meinen bisherigen Stellen als Therapeutin, insbesondere meiner aktuellen Arbeit in der Psychiatrie. Weitere Inhalte waren die Gründung der Rumänischen Musiktherapie-Gesellschaft und meine Hoffnung für Zukunft: die Etablierung der Therapieform in Rumänien und u.a. auch eine eventuelle Einbindung in die universitären Curricula.
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Im Vortrag von Dr. Monika Nöcker-Ribeaupierre berichtete das ehemalige Vorstandsmitglied der European Music Therapy Confederation (EMTC) von der Geschichte und wichtigen Aktivitäten der EMTC. Ihre Schilderungen verdeutlichten dem Tagungspublikum, welch kontinuierlicher und intensiver Einsatz über viele Jahre notwendig waren (und sind), um gemeinsame Werte und Definitionen der Musiktherapie auf europäischer Ebene zu finden und das heutige Standing der Musiktherapie in Westeuropa zu halten und zu behaupten.
In weiteren Vorträgen tauchten Prof. Dr. Karin Schumacher und Prof. Dr. Jos de Backer mit zahlreichen Berichten und dokumentierenden Videos aus der eigenen Arbeit in die Praxis der Musiktherapie ein. Mitschnitte aus Sitzungen mit autistischen Kindern bildeten den Schwerpunkt bei Karin Schumacher. Auch mithilfe der Videos stellte sie überzeugend dar, wie positiv die Ergebnisse ihrer Methoden sind, die sich durch hohe Emotionalität, Einfühlsamkeit und Nähe auszeichnen.
Prof. Dr. Jos de Backer schilderte mithilfe zahlreicher Anekdoten und Aufnahmen eindrucksvoll das breite Anwendungsspektrum von Musiktherapie an der Psychiatrieklinik in Kortenberg, Belgien, die mit zehn angestellten Musiktherapeut*innen und bester Ausstattung das Fachgebiet als hochrelevante und besonders erfolgreiche Therapieform positioniert.
Den Vorträgen folgte eine ausgiebige Fragerunde, die den über 80 Tagungsteilnehmer*innen die Möglichkeit bot, persönliche Überlegungen und Eindrücke auszutauschen und an die Referent*innen zu richten. Sowohl in den abschließenden Diskussionen, als auch den verteilten Multiple-Choice-Bewertungsbögen kam große Zufriedenheit an der Veranstaltung, der Wunsch nach regelmäßiger Wiederholung und auch nach Mitgliedschaft in der Rumänischen Gesellschaft für Musiktherapie auf erfreuliche Weise zum Ausdruck. So ergab die Auswertung der 85 Fragebögen, dass 98% der Teilnehmenden an einer Folgeveranstaltung und 80% an einer Fortbildung im Bereich Musiktherapie Interesse haben. Zudem sicherten auch die geladenen Referent*innen zu, gerne bei zukünftigen Veranstaltungen der Rumänischen Gesellschaft für Musiktherapie in Rumänien mitzuwirken.
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Paletti probt für die Manege ...!
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Mithilfe unserer Förderung konnte der Kinderzirkus Paletti an der IN.ZIRQUE-Fortbildung für inklusionsorientierte Zirkus- und Bewegungskünste am Zentrum für Bewegte Kunst e.V. in Berlin teilnehmen. Seither bietet der Mannheimer Zirkus regelmäßige Proben für Kinder mit und ohne Behinderung an.
Ein Blick hinter die Kulissen ....
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Im Gespräch mit ... Prof. Hellmut Kind, Stifter der Andreas Tobias Kind Stiftung
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Auf unserer Interimssitzung im Mai 2019 hat uns der Filmemacher Stefan Gieren mit der Kamera begleitet und einen kleinen Jubiläumsfilm gedreht. Hauptdarsteller war natürlich unser Stifter Hellmut Kind. Auszüge aus dem Gespräch zwischen Herrn Gieren und Herrn Kind geben Einblick in die Ursprünge der Stiftungsgründung vor 30 Jahren und die bewegte Lebensgeschichte unseres 96-jährigen Ehrenmitglieds.
Lieber Hellmut, was genau war die Motivation von dir und deiner Frau Gabriele, den Themen Musiktherapie und Heilpädagogik mit der Stiftung diese Wirksamkeit zu geben?
HK: Ich war beruflich mit der Heilpädagogik sehr eng verbunden. Ich war 16 Jahre lang Professor für Heilpädagogik in Hamburg und habe dieses Thema an der Universität mit vielen Studenten durchgesprochen.
Meine berufliche Vorgeschichte war vor allem durch meine Arbeit am Birkenhof geprägt. Als ich nach meiner Ausbildung zum Heilpädagogen dort anfing, war der Hof noch ein halbfertiges Anwesen. Wir haben ein Heim daraus gebaut und 1953 begonnen, hier mit behinderten Kindern zu arbeiten.
Auch meine Frau Gabriele hat auf dem Birkenhof mitgewirkt. Sie war Musikerin und hat im Birkenhof zusammen mit den Kindern mit Behinderung musiziert. Das war für sie eine ganz neue Erfahrung: dass Kinder eben dadurch, dass sie selbstständig spielen und singen eine Förderung finden, die man mit anderen pädagogischen Mitteln gar nicht so leicht erreichen kann.
Da meine eigenen Kinder dann aber schulpflichtig wurden und es in Lüneburg zu dieser Zeit noch keine Waldorfschule gab, bin ich mit meiner Familie nach Hamburg gezogen. In Hamburg suchten sie gerade praktisch erfahrene Heilpädagogen für die Arbeit an der Hochschule. Das hing damit zusammen, dass dieser Zweig erst neu aufgebaut wurde und man noch keine Lehrer hatte. So wurde ich in Hamburg zum Professor für Heilpädagogik berufen.
Und als ich mit 65 Jahren in Pension ging, tauchte für mich und meine Frau die Frage auf: Was machen wir denn nun? Wir sind zunächst viel gereist. Etwas später sind wir unter anderem durch einen Aufsatz von Lutz Neugebauer in der Zeitschrift "Perspektiven" zu den neuen Entwicklungen in der Musiktherapie sowie in Gesprächen mit vielen Menschen auf die Idee gekommen, dass wir ja eine Stiftung gründen und sie entsprechend unserer Bedürfnisse ausbauen könnten. Denn im Grunde gab es noch viel zu wenige heilpädagogische Einrichtungen. Und die Musiktherapie erschien uns durch unsere eigenen Erfahrungen in der musikalischen Arbeit mit Kindern am Birkenhof und die Wirkung der Musiktherapie auf unseren Sohn Andreas Tobias, der ja mit Down-Syndrom zur Welt kam, sehr förderwürdig. Wir gründeten also die Andreas Tobias Kind Stiftung. Tatsächlich wollten wir nicht allzu viele Einrichtungen unterstützen, sondern eher die Forschung auf diesem Gebiet, um so das wissenschaftliche Fundament zu sichern und zu verbreitern. Das ist für uns damals maßgeblich gewesen.
Ich freue mich vor allen Dingen, wie positiv der Nachklang dieser Arbeit heute ist. Das hängt sicher damit zusammen, dass meine Frau und ich eben zuerst die Praxis kennengelernt und uns anschließend überlegt haben, wie wir da etwas befestigen oder weiterentwickeln können, was unserer Meinung nach dringend notwendig ist.
War dieser Bereich der Forschung damals noch eine Leerstelle?
HK: Das fing gerade an. Lange war es so, dass Heilpädagogik eine Angelegenheit war, die zum Beispiel von der evangelischen Kirche in Jena in einer speziellen Einrichtung besonders gefördert wurde. Die anthroposophische Heilpädagogik war auch ein Zweig, der sich damals entwickelte. Entstanden war sie 1923, nachdem Rudolf Steiner einen entsprechenden Kurs gehalten hatte. Ich war in der Zeit nach dem Krieg eine Weile Praktikant am Michaelshof in Hepsisau, der von Albrecht Strohschein geleitet wurde, einer der Ur-Heilpädagogen der anthroposophischen Richtung. Dort habe ich viel gelernt. Und später habe ich dann auch auf dem Sonnenhof in Arlesheim gearbeitet und auf diese Art und Weise viele Erfahrungen sammeln können.
Spielt die Anthroposophie eine große Rolle in der Stiftung?
HK: Nein, prinzipiell ist unsere Stiftung offen für alle heilpädagogischen und musiktherapeutischen Schulen. Gerade in den letzten Jahren fördern wir vermehrt Studien, die keinerlei anthroposophische Bezüge haben. Ich muss sagen, dass mir mit der Zeit klar wurde, dass die anthroposophische Heilpädagogik nicht alles kann. Die Anthroposophie hat sicher gute Ideen und menschlich wirklich starke Impulse gesetzt. Das ist ganz klar. Aber sie ist nicht so allwissend und so vollständig, dass man sagen kann: Nur Anthroposophie und sonst gar nichts. Sondern es gibt viele andere wichtige Dinge, die in der Anthroposophie am Anfang überhaupt keine Rolle gespielt haben. Ich denke dann immer an unsere Arbeit im Birkenhof: Damals hatten einige Mitarbeiter Schwierigkeiten mit Kindern und ich habe den Gedanken der Supervision angebracht. Das wurde strikt abgelehnt, mit der Begründung: „Wir haben den Schulungsweg. Wir brauchen keine Supervision.“ Inzwischen hat sich das geändert und die Supervision ist auch in der Anthroposophischen Heilpädagogik angekommen. Aber das war in meiner Zeit am Birkenhof bis 1970 gar nicht spruchreif. Dass man sich nicht selbst auf den Rücken gucken kann, ist nun mal eine anatomische Gegebenheit ...
Ich habe mich damals dazu entschlossen, eine Zusatzausbildung in Psychoanalyse zu machen und habe vor allem auch dort an Wissen und Können dazugewonnen. Die anthroposophische Heilpädagogik und die Psychoanalyse bilden also die beiden Säulen, auf denen meine Arbeit ruht.
Welche Rolle hatte Musik für deine Familie?
HK: Das kann ich eigentlich gar nicht so festlegen. Ich bin natürlich nicht so sehr musikalisch aufgezogen worden wie meine Frau Gabriele. Ihr Vater war Berufsmusiker, ihr Großvater leitete ein Konservatorium in Remscheid. Und ihre Mutter war begeisterte Pianistin. Gabriele selbst hat sehr früh angefangen, nicht nur selbst Musik zu machen, sondern auch Musik mit Kindern und für Kinder zu spielen. Das war einfach schön! Das war ein Teil unseres Lebens, den wir gepflegt haben ohne es uns gezielt vorzunehmen.
Warum habt ihr diese Stiftung nach Andreas Tobias benannt und für ihn gemacht?
HK: Wir wollten von Anfang an, dass die Stiftung nicht nur unsere private Angelegenheit wird. Wir wollten Kindern mit Behinderung bessere Unterstützung und Förderung ermöglichen und dann hatten wir ja eben selber den Andreas mit Down-Syndrom bekommen. Während wir noch im Birkenhof lebten, ist Andreas geboren. Zunächst bemerkten wir seine Behinderung gar nicht. Etwas später fiel uns auf, dass er sich doch in mancher Hinsicht anders entwickelte als andere Kinder, zum Beispiel, dass er nicht so sehr gezielt auf etwas losging. Sondern dass all seine Handlungen etwas spontaner waren. Dann haben wir ihn untersuchen lassen und es stellte sich heraus, dass er Down-Syndrom hat.
Als wir uns überlegten, eine Stiftung zu gründen, wollten wir es gerne Andreas Tobias zuliebe machen – und zudem neben ihm auch viele weitere Kinder und Erwachsene mit Behinderung fördern. Für Andreas war das schön und wichtig. Er nimmt teil an den Sitzungen der Stiftung, obwohl er oft nicht alles versteht. Aber er hat das Gefühl, dass ihn das etwas angeht und deswegen ist er ganz munter mit dabei und vor allen Dingen darf er natürlich immer ein Musikstück dirigieren, wenn die Tagungen zu Ende gehen, und das ist für ihn immer ganz besonders.
Bist du stolz darauf, was ihr erreicht habt in diesen 30 Jahren?
HK: Ich muss sagen, heute bin ich ganz überrascht über die menschliche Wirkung der Stiftung. Was da so alles an Resonanz gekommen ist, das hat mich wirklich bewegt. Damit habe ich so nicht gerechnet. Ich fand das immer einen natürlichen weiteren Weg, den man gehen kann, wenn man das Glück hat, ein größeres Vermögen geerbt zu haben. Das war ja mit eine wichtige Bedingung, dass ich durch meine Familie einen guten Start für solche Dinge liefern konnte.
Aber damit fängt ja die Arbeit ja eigentlich erst an ...
HK: Das ist richtig. In den ersten zehn Jahren habe ich die ganze Buchführung und den Schriftverkehr alleine erledigt, bin die Anträge durchgegangen, habe die Geförderten beraten. Aber mit dem Alter fiel es mir nach und nach schwerer und ich habe mir Unterstützung dazu geholt. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich Menschen gefunden habe, die die Dinge interessiert weitertragen.
Herzlichen Dank für das Interview und dein 30-jähriges Engagement für die Andreas Tobias Kind Stiftung, lieber Hellmut!
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