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Liebe Freunde und Interessierte der Andreas Tobias Kind Stiftung,
es ist Sommer - für viele von uns steht nun eine Pause an: endlich einmal durchschnaufen, nach all den Herausforderungen der vergangenen Wochen und Monate!
Mit Corona, dem Ukraine-Krieg, der Klimakrise ... fällt es nicht immer leicht, positiv und hoffnungsvoll zu bleiben. Umso wichtiger ist es, dass wir zusammenhalten und den Austausch mit Freunden und Familie suchen. Von enormer Bedeutung ist auch, dass wir in Krisensituationen auf professionelle Hilfe bauen können, auf Menschen, die uns dabei unterstützen, die eigenen Ressourcen (wieder) zu entdecken.
In unserem Sommernewsletter stellen wir Ihnen die aktuellen Projekte von vier Frauen vor, allesamt Musiktherapeutinnen und Stipendiatinnen unserer Stiftung: Dabei geht es um Forschungsprojekte zur Musiktherapie mit Menschen mit Depressionen und mit Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderung. Die vier Therapeutinnen leisten wertvolle Arbeit, um Menschen mit ganz unterschiedlichen Themen und Schwierigkeiten im Alltag zu unterstützen und zu stärken. Als Stiftung sind wir sehr froh darüber, mit unseren Förderungen einen kleinen Beitrag leisten zu können.
Glücklich sind wir auch, unserer neuen Beirätin Christina Niedermann zu ihrem Doktortitel gratulieren zu dürfen: Auf unserer Interimssitzung am 8. Juli überreichte Prof. Dr. Thomas Ostermann Dr. Christina Niedermann ihre Promotionsurkunde - auch auf diesem Wege nochmals herzlichen Glückwunsch!
Wenn Sie persönlich gratulieren und auch unser komplettes Team, Stipendiat:innen und Bewerber:innen kennenlernen bzw. wiedersehen möchten, freuen wir uns, Sie im Herbst auf unserem öffentlichen Stiftungstag begrüßen zu dürfen.
SAVE THE DATE: Öffentlicher Stiftungstag
am 24. September 2022
im Rudolf Steiner Haus Hamburg.
Eine Einladung mit Programm folgt.
Bis dahin: Lassen Sie es sich so gut wie möglich gehen und genießen Sie den Sommer!
Herzliche Grüße
Ihr Team der Andreas Tobias Kind Stiftung
Britta Johannesson - Hannah Ott
Wir machen Sommerpause vom 22. Juli bis zum 26. August 2022. Ab dem 29. August 2022 sind wir im Stiftungsbüro wieder für Sie erreichbar.
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Mehr Öffentlichkeit für Musiktherapie mit Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderung
Bericht zum Dissertationsprojekt unserer Stipendiatin Claudia Bajs, Musikakademie Ljubljana
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Das Thema "Musiktherapie mit Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderung" ist in der musiktherapeutischen Literatur, auf Tagungen, Kongressen und auch in der Forschung stark unterrepräsentiert. Mit dieser Feststellung startete ich 2018 in mein Forschungsvorhaben, das seither durch die Andreas Tobias Kind Stiftung unterstützt wird. Immatrikuliert bin ich an der Musikakademie Ljubljana im Doktoratsstudium Humanistik und Gesellschaftswissenschaften, aber ich bemühe mich um eine internationale Vernetzung. Im Rahmen meiner Forschung habe ich eine internationale (dreisprachige) Umfrage unter MusiktherapeutInnen gestartet, eine Gruppendiskussion mit Expertinnen aus vier Ländern und drei Kontinenten geleitet und in einem dritten Schritt musiktherapeutische Videoszenen durch slowenische Kolleginnen anderer Fachdisziplinen (Physiotherapie, Ergotherapie, Psychologie) beschreiben lassen. Die Auswertung der Daten ist bis dato noch nicht abgeschlossen.
Ein großes Anliegen ist es mir, das Thema mehr in die (musiktherapeutische) Öffentlichkeit zu bringen. Deshalb habe ich, zusätzlich zu einem eigenen Vortrag, auf dem EMTC Kongress in Edinburgh gemeinsam mit meiner englischen Kollegin Tessa Watson einen Runden Tisch initiiert. Wir luden ein zum Thema: “Valuing music therapy work with adults with severe multiple disabilities; international perspectives”. Als Gäste hatten wir Silke Reimer (Berlin), Victoria Churchill (Melbourne) und Eleanor Richards (Cambridge) dabei, aber auch das Publikum wurde aktiv miteinbezogen. So entstanden trotz der hybriden Durchführung (mit Teilnehmenden in Präsenz und online) rege Diskussionen, die ein großes Interesse und viel Wertschätzung von Seiten derer ausdrückten, die mit Menschen mit schweren Behinderungen arbeiten. Es wurde allerdings auch immer wieder deutlich, dass sie sich von der breiteren musiktherapeutischen Öffentlichkeit und vor allem auch gesamtgesellschaftlich kaum gesehen und unterstützt fühlen.
Wir gaben mit unseren Beiträgen auf dem EMTC Kongress den Anstoß für den Aufbau eines internationalen Netzwerkes von Musiktherapeutinnen, die mit Menschen (vor allem auch mit Erwachsenen) mit schwerer Mehrfachbehinderung arbeiten, sich über diese Arbeit austauschen und sie weiter beforschen wollen. Einen ähnlichen Aufruf gab es für den deutschsprachigen Raum bereits im Frühjahr 2022, am Ende der 30. Münchner Fachtagung Musiktherapie zum Thema „Psychotherapeutische Unterversorgung bei Intelligenzminderung oder fehlender Sprache – Musiktherapie als Lösung“. Zu beiden Anlässen wurde deutlich: Wir sind gar nicht so wenige, die sich mit diesem Arbeitsfeld beschäftigen, aber wir kommen uns im Alltag oft sehr isoliert vor. Dagegen hilft der professionelle, insbesondere auch der internationale Austausch. In diesem Sinne lade ich auch hiermit nochmals herzlich dazu ein, sich bei Interesse bei mir zu melden: claudia.bajs20@gmail.com.
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Affektregulation in der Musiktherapie mit Menschen mit schwerster Mehrfachbehinderung
Abschlussbericht zur Dissertation unserer Beirätin und Stipendiatin Dr. Silke Reimer
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Meine Dissertation zum Thema "Affektregulation in der Musiktherapie mit Menschen mit schwerster Mehrfachbehinderung" wurde von 2012 bis 2016 von der Andreas Tobias Kind Stiftung gefördert. Im Vordergrund stand die Frage, ob und wie Belastungs- und Stresszeichen wie zum Beispiel Anspannung und Unruhe, selbststimulierende und stereotype Verhaltensweisen durch musiktherapeutische Interventionen beeinflussbar sind. Die Ergebnisse zeigten, dass Interventionen, in denen das Körperempfinden der Menschen mit schwerster Mehrfachbehinderung einbezogen wurde, eine Veränderung des Verhaltens hin zu mehr Ruhe und Aufmerksamkeit herbeiführten.
Die Wirksamkeit der beschriebenen musiktherapeutischen Interventionen zeigt sich in jeder Musiktherapiestunde neu. So führt das Spüren von Vibrationen der Musikinstrumente, das Singen im Atemrhythmus, Wiegen im Rollstuhl oder in der Hängematte verbunden mit Tönen oder auch das rhythmische Berühren von Armen, Beinen oder Fußsohlen bei Menschen mit schwerster Mehrfachbehinderung zu Ruhe und Aufmerksamkeit. In Folge richten manche Menschen ihre Aufmerksamkeit auf die Umwelt oder nehmen auch gezielt Blickkontakt zum/zur TherapeutIn auf. Auch Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie zeigen hier einen Zusammenhang zwischen einer regulierten Affektlage und der Fähigkeit zur Interaktion. Neben der Beschreibung der musiktherapeutischen Methodik wäre es interessant, die Wirksamkeit der Interventionen über eine Verhaltensbeobachtung hinaus untersuchen zu können, um besser zu verstehen, was zum Beispiel auf neuronaler Ebene geschieht. Die Beschreibung der Methodik und Wirkung musiktherapeutischer Interventionen ist ein wichtiger Schritt für eine weitere Professionalisierung der Musiktherapie.
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Achtsamtkeitsbasierte rezeptive Musiktherapie bei Menschen mit Depression - eine Pilotstudie zur Evaluation der Herzratenvariabilität und Achtsamkeit
Abschlussbericht zur Dissertation unserer Stipendiatin Dr. Anja Schäfer
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Depressive Erkrankungen gehören zu den häufigsten und belastendsten Problemen unserer Zeit und sind Störungen des gesamten Organismus. Ein gut koordinierter Organismus, indem die Körperrhythmen zusammenwirken, erholt sich besonders gut und schnell. Im menschlichen Herzschlag spiegeln sich die Körperrhythmen wider: die Herzratenvariabilität (HRV) oder Herzrhythmusflexibilität. Sie entsteht durch das zyklische Zusammenspiel der beiden Steuerorgane des Herzens: dem Parasympathikus und dem Sympathikus mit dem Schrittmacher des Herzens, dem Sinusknoten.
Der aktuelle Stand der Forschung weist darauf hin, dass Depressionen mit der Veränderung der Herzfunktionen einhergehen. Depressive Menschen haben im Vergleich zu Kontrollpersonen eine höhere Herzfrequenz und eine eingeschränkte Herzratenvariabilität. Der mögliche Zusammenhang wird umso deutlicher, je ausgeprägter die Depression ist.
Es wurde in dieser klinischen Pilotstudie die Wirksamkeit von musiktherapeutischer Intervention vor dem Hintergrund der Chronobiologie bei depressiven Patient.innen untersucht. Dabei wird dargestellt, wie eine mögliche Verbesserung der depressiven Symptomatik durch rezeptive Musiktherapie mit integriertem Schwerpunkt von Achtsamkeitserleben und Achtsamkeitssensibilisierung erzielt werden kann. Als Hilfsmittel stand dabei die chronobiologische Aufklärung mittels Herzratenvariabilitätsdiagnostik zur Verfügung. Im Detail wurde herausgearbeitet, dass rezeptive Musiktherapie in Verbindung mit Selbstwahrnehmung - durch Atemsensibilisierung und Körperwahrnehmung als Formen der Selbstwahrnehmung - dazu einen grundlegenden Beitrag leisten kann.
Die Musikintervention selbst wurde durch eine externe exemplarische musikwissenschaftliche Materialanalyse des improvisatorischen Spiels der Therapeutin mit Monochord und Stimme qualitativ näher bestimmt.
Die psychischen korrelierenden Merkmale von Depression und Achtsamkeitssensibilisierung wurden anhand von Beck Depression Inventory (BDI II) und Freiburger Achtsamkeitsinventar (FFA) erfasst und in einen psychophysiologischen Zusammenhang mittels der HRV-Datenerhebungen gebracht. Methodisch wurde eine randomisierte Interventionsstudie mit Kontrollgruppenvergleich (N=40) gewählt.
Durch die vorliegenden Auswertungen können die unmittelbare positive Wirkung der Musiktherapie sowie ein nachhaltiger Therapieeffekt auf den Schlafverlauf festgestellt werden. Als zentrale Aussage kann festgehalten werden, dass achtsamkeitsbasierte rezeptive Gruppenmusiktherapie im klinischen Setting eine hilfreiche nichtpharmakologische Therapiemöglichkeit bietet, um das Entspannungsverhalten depressiver Patient.innen zu fördern, eine Stärkung der Achtsamkeitssensibilisierung und eine bessere Regulationsfähigkeit des gesamten Organismus zu ermöglichen.
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Über Gartenarbeit, Eiscreme, Bewegung und psychische Gesundheit
Beitrag unserer Beirätin Dr. Christina Niedermann
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"Wer mich ganz kennenlernen will, muss meinen Garten kennen, denn mein Garten ist mein Herz.'' Dieses Zitat geht zurück auf Fürst Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau, geboren als Graf Pückler im Jahr 1785, und wahrscheinlich bekannt durch die Kombination der Eissorten Erdbeere, Vanille und Schokolade, die nach ihm als ''Fürst Pückler'' benannt wurde. Er selbst wurde jedoch als Landschaftsgärtner berühmt - zwei seiner Gärten wurden in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.
Unter therapeutischen Gesichtspunkten gibt es eine Vielzahl von klinischen Studien über die Wirksamkeit der Gartenarbeit bei einer Vielzahl von gesundheitlichen und psychischen Problemen. Genauer gesagt: Gartenarbeit in der Schule in Kombination mit körperlichen Aktivitäten hat einen signifikanten Einfluss auf den Obst- und Gemüsekonsum von Kindern. Die Gartenbautherapie verbessert die Symptomatik, die Lebensqualität und die sozialen Fähigkeiten von Schizophrenie-Patienten. An Demenz erkrankte Menschen leiden weniger unter Unruhe und erhalten ein höheres Maß an Antrieb und Interesse.
Aber zurück zum Eingangszitat: Was bedeutet es? Wahrscheinlich gibt es nicht nur ein therapeutisches, sondern gleichzeitig auch ein diagnostisches Potenzial der Gartenarbeit: Weil Natur und Menschen in einem ästhetischen Verhältnis zueinander stehen, wird die Pflege und Gestaltung einer Landschaft zu einer "Landschaftskunst'', welche als eine besondere Art von "Landschaftszeichenprozess'' benannt werden kann. Materialien wie Pflanzen, Steine oder Holz werden "gezeichnet'' und zu einem Landschaftsbild arrangiert. In diesem Zusammenhang entsteht eine neue Art von Landschaftsbild. Dies steht im Einklang mit der Encyclopedia Britannica, wo Gartenarbeit definiert wird als "die Anlage und Pflege eines Grundstücks, das teilweise oder ganz dem Anbau von Pflanzen wie Blumen, Kräutern oder Gemüse gewidmet ist". Die Encyclopedia Britannica kommt zu dem Schluss, dass "Gartenarbeit als eine Kunst betrachtet werden kann, die sich sowohl mit der harmonischen Anordnung von Pflanzen in ihre Umgebung beschäftigt, als auch als Wissenschaft, die die Prinzipien und Techniken des Pflanzenanbaus umfasst.'' Wenn dies zutrifft, dann ist eine standardisierte Analyse der gärtnerisch gestalteten Lanschaftsbilder vergleichbar mit der Analyse von Zeichenprozessen.
Einige Zusammenhänge zwischen dem psychologischen Befinden der Probanden und Elementen im Prozess der Gartengestaltung stellen zum Beispiel Bewegungsmuster dar. Und tatsächlich hat eine erste Pilotstudie einige vielversprechende Ergebnisse geliefert: eine geringere Bewegungsentropie bei einer Gartenarbeit korreliert mit einer höheren psychischen Belastung bei Männern, aber weniger bei Frauen. Ähnliche Ergebnisse finden sich auch in der Literatur wieder. Vermutlich neigen Frauen dazu, psychischen Stress mit erhöhter Aktivität zu kompensieren, um ein Gefühl der Befriedigung beim Betrachten ihrer Kunstwerke hervorzurufen. Interessant ist schließlich, dass bei der Bewertung des endgültigen Landschaftsbildes nicht der gleiche starke Zusammenhang auftrat. Somit ist die Bewegungsanalyse in Übereinstimmung mit anderen Befunden in der Literatur eine vielversprechende Methode zur Vorhersage psychischen Befindens im naturalistischen Setting. Die Zukunft könnte daher weitere Forschungsergebnisse zu diesem Thema bringen. Oder sogar eine "technologische'' Transformation wie in Van Tondors Studie über japanische Zen-Gärten beschrieben: "In ferner Zukunft wird die Kunst des Gärtnerns vielleicht als eine unserer fortschrittlichsten Formen der Technologie angesehen werden, nämlich die, die Umwelt so zu gestalten, dass sie eine harmonische geistige und körperliche Stimulanz bietet, eine Technologie nach dem Vorbild der Natur.'' Zusammen mit einem Eis auf der Hand - ob Erdbeere, Vanille oder Schokolade - klingt das wirklich vielversprechend!
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